Weltweit keinen vergleichbaren Ort

Im Food Campus, der derzeit in Berlin entsteht, beschäftigen sich ab 2024 Forschende, Lebensmittelhersteller und Gastronomen mit nichts weniger als der Transformation des Food Systems. Leitidee ist das Planetary Health Konzept. Wir haben vorab mit dem Geschäftsführer Jörg Reuter gesprochen und freuen uns, ihn auch auf dem Podium der Zukunftswerkstatt am 25. Januar in Berlin zu begrüßen.

Die Agri-Food-Systeme stecken unbestritten in einer großen Transformation. Warum brauchen wir einen Food Campus Berlin? Was kann der Food Campus leisten, was bisherige Konzepte und Initiativen nicht leisten können, um diese Transformation zu bewältigen?

Es gibt noch keinen vergleichbaren Ort in Europa, ich würde sogar fast sagen weltweit, der sich aus dem Blickwinkel der Planetary Health mit der Transformation des Food Systems beschäftigt. Wir kennen die planetaren Grenzen, wir kennen das Planetary Health Konzept der EAT-Lancet Kommission, aber wir haben noch keinen Ort, der Lösungen dafür erarbeitet. Der Food Campus ist der erste seiner Art, der in so einer Größe Food-Unternehmen bündelt. Perspektivisch werden 1.500 Menschen im Food Campus arbeiten – das ist einmalig. Willkommen sind alle Unternehmen, die glaubhaft vermitteln, dass sie ernsthaft an Lösungen zur Planetary Health arbeiten.

Wir werden unterschiedlichste Unternehmen und Denkrichtungen zusammenbringen. Das ist auch das besondere für mich am Food Campus: Wir gehen ideologiefrei an die Themen ran und bearbeiten sie von einem systemischen Ansatz her. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern viele. Für uns ist der Food Campus der Ort, an dem diese verschiedenen Wege zusammenkommen. Es gibt einen großen Bedarf an Think-Do-Tanks, dem möchten wir gerecht werden.

Wie kommunizieren Sie die Mission des Food Campus in die Praxis, an die Macher? Welche konkreten Angebote macht der Food Campus Landwirten und Lebensmittelherstellern, um sich zu beteiligen und ihr eigenes Business in die Zukunft zu führen?

Der Food Campus ist zunächst hauptsächlich ein Ort für die Food Industrie. Also vom Startup über den Mittelstand bis zum Corporate. Das berührt die Landwirtschaft nur mittelbar. Wir sind aber dabei, in Brandenburg einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen, ihn mit dem Food Campus zu assoziieren und das Thema Landwirtschaft so mit reinzunehmen. Darüber hinaus wird es viele Kooperationsprojekte geben. Die werden allerdings nicht zwingend vom Food Campus als Institution gesteuert, sondern von den Unternehmen, die sich im Food Campus ansiedeln. Ein Beispiel: Regenerative New Protein. Unter anderem deswegen, weil wir in der öffentlichen Diskussion merken, dass hier das Denken vielfach erst im Bioreaktor startet. Das ist uns aber zu kurzgedacht. Dass wir dafür Nährmedien brauchen, die natürlich aus pflanzlichen Rohstoffen bestehen müssen, die natürlich aus der Landwirtschaft kommen und wir auch die Landwirtschaft in diese neuen Systeme einbinden müssen, das wird viel zu wenig diskutiert. Das möchte ich gerne anstoßen. Wir müssen uns Gedanken machen, wo die Nährstoffe für die Zukunftsproduktionen herkommen sollen. Entweder wollen wir das irgendwo auf dem Weltmarkt beziehen oder, wenn wir doch Nachhaltigkeit wollen, müssen wir uns jetzt Gedanken über entsprechende regionale Wertschöpfungsketten machen. Auch hier sehe ich unsere Rolle darin, Themen zu setzen und Diskussionen anzuschieben.

Aus meiner Sicht haben wir bei all den Themen und Diskussionen drei wesentliche Akteure: Den Planeten, die Landwirtschaftsbetriebe und die Konsumenten. Die drei müssen unter sich ausmachen, was passieren muss. Alle anderen sind Dienstleister.

Verfolgt man die aktuellen Diskussionen und Panels, insbesondere zu Alternativen Proteinen und Bioreaktoren, könnte man den Eindruck bekommen, dass die konventionelle Landwirtschaft kein Teil der Transformation ist. Cem Özdemir möchte, dass 2030 30 Prozent der Betriebe Ökolandbau betreiben. Wo bleibt der Rest?  

Ich glaube, es wird schwer für Betriebe werden, die sich nicht für eine Entwicklung entscheiden, sagen wir die ökologische Landwirtschaft und die sehr technikaffine Landwirtschaft, sondern dazwischen hängen. Die nicht groß genug für die technischen Entwicklungen sind, aber auch nicht individuell genug, um über Storytelling vermarkten zu können. Hier muss es uns gemeinsam gelingen, auf der einen Seite die technische Entwicklung zu ermöglichen, auf der anderen Seite mehr Wertschöpfung durch Regionalität zu gewährleisten. Perspektivisch wird es ca. 30 % Ökolandbau, 40 % Bio 3.0, also eine nachhaltige Wirtschaft aber technologieoffen, und 30 % an Betrieben geben, die wir nicht erreichen, die sich für keine Entwicklung entscheiden können. Die werden es perspektivisch dann vielleicht auch nicht schaffen. Und ja, das wird viel zu wenig diskutiert.

Neben Ihrer Tätigkeit für den Food Campus gehört es auch zu Ihren Aufgaben, das Landgut Köllnitz bei Berlin zu einem innovativen Landgut mit Obstplantagen, Manufaktur und Naturerlebnispark zu entwickeln. Was ist dort geplant?

Ich sage in letzter Zeit immer, das ist das mutigste, was ich in meinem Leben gemacht habe, denn im Frühjahr gehen wir hier tatsächlich einen radikalen Schritt: Wir stellen das Restaurant vom Landgut Köllnitz auf „Farm to Table“ um. Wir wollen fast ausschließlich Produkte auf den Tisch bringen, die wir auf unseren Flächen anbauen bzw. produzieren. Zusätzlich sind wir gerade auch an einem zweiten Standort südöstlich von Berlin dran, da hätten wir 500 ha zur Verfügung und die möchten wir gerne komplett mit dem Food Campus assoziieren, würden also auch vom Food Campus bewirtschaftet werden. Hier entstehen gerade die wildesten Ideen. Von der Frage, ob wir dort Agri-Tech-Startups ansiedeln, bis hin zur Überlegung, mehr zum Thema Food-Handwerk zu machen. Ich fände es total spannend, wenn es uns gelänge, dass unsere Plant Based-Startups an so einem Ort auch mal mit Landwirten sprechen und gemeinsame Versuche umsetzen. Wir wissen heute extrem wenig über optimale Erntezeitpunkte von zum Beispiel Erbsen, je nachdem, welchen Verwendungszweck sie in der Weiterverarbeitung haben und welche Eigenschaften man dafür benötigt. Dieser Landwirtschaftsbetrieb wird hier die Möglichkeit bieten, sich neu zu vernetzen und gemeinsam zu forschen. Es würde mich riesig freuen, wenn das gelänge.  

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