Mehr als nur Saft: innere Haltung, Selbstführung und Diversität

Dipl. Kaufmann Sebastian Koeppel leitet in vierter Generation das Südniedersächsische Familienunternehmen beckers bester. Mit einem Ausstoß von 46 Millionen Litern im Jahr, gehört der mittelständische Fruchtsafthersteller zu den zehn größten deutschen Fruchtsaftproduzenten. Karina Neitzel hat ihn interviewt.

Ihr feiert in diesem Jahr das 90-jährige Jubiläum. Die Gründung des Unternehmens beckers bester verdankst Du nicht zuletzt Deiner Urgroßmutter. Vom traditionellen Familienbetrieb zu einem jungen, offenen und modernen Unternehmen. Wie gelingt der Wandel?

Vieles war zu Anfang recht ungeplant. Wir zahlten eine Menge Lehrgeld. Letztendlich geht es nicht ohne Persönlichkeitsentwicklung.
Ich habe das Unternehmen 2010 übernommen, als wir in einer schweren Krise steckten: Wir rutschten von 100 Millionen EURO Umsatz auf 32 Millionen EURO ab. Ich musste mehr Menschen entlassen als mir lieb war und das hat natürlich auch was mit mir gemacht. Beim Umsatzrückgang von fast 70 Millionen EURO braucht man erstmal eine Idee, wie das aufgefangen werden soll. Ich lernte meinen heute besten Freund kennen, Johannes Gutberlet, der damals mit seinem Bruder das Familienunternehmen tegut führte. Als typisches Markenkind fragte ich ihn: „Glaubst Du, wir können die ganze Welt mit ökologischer Landwirtschaft ernähren?“ Das war für mich immer das Totschlagargument, weil ich mir ganz sicher war, da kann man ja nur nein zu sagen. Er guckte mich an und sagte: „Sebastian, wir werden irgendwann gar keine andere Chance mehr haben, als nachhaltiger zu wirtschaften.“
In seiner heutigen Funktion als Berater haben wir uns mit Johannes Gedanken über unsere Werte, unsere Haltung, unser Wofür und unsere Vision gemacht und zwar immer auf der individuellen Ebene, also was die einzelnen Personen betrifft, aber auch auf der Unternehmensebene. In diesem Prozess entstand unser Motto: Wertschätzung für Mensch und Natur. Das sollten die Bereichsleiter jeweils auch mit ihren Teams erarbeiten. Ich musste aber einsehen, dass das so nicht funktionierte. Bis dahin waren wir also als Marke sympathischer aufgestellt, haben die Farben überarbeitet, sind mutiger geworden. Aber wenn es darum ging, auch nachhaltiger zu handeln, wurde das anfangs sehr stark von mir initiiert. Jetzt ist es absolut losgelöst von mir als Person.

Über Johannes bin ich auch zu dem Thema (Selbst-) Führung gekommen: Heute nenne ich es die kollegiale Selbstführung. Ich hatte das Bauchgefühl, dass die Selbstführung der richtige Weg für uns sein kann – aber keine Ahnung von der Thematik. Wir führten erstmal mit meinem Team, ehemals Marketing, einen zweitägigen Workshop durch und ließen sie dann mehr oder weniger laufen. Das war Selbstführung 1.0. und ist krachend gescheitert. Ich beschäftige mich viel mit Systemtheorie und Systemischer Organisationsentwicklung. Heute besitze ich bei beckers bester drei Rollen: Als Unternehmenshüter bewahre ich das Gute, was im Unternehmen schon entstanden ist. Als Geschäftsführer gebe ich dem Neuen, was im Entstehen ist, eine Chance. Als interner Berater treibe ich die Transformation ganz gezielt, ganzheitlich und systemisch voran. Das in Kombination mit der kollegialen (Selbst-) Führung funktioniert für uns heute sehr gut. Menschen in Eigenverantwortung zu bringen, ihnen den Freiraum zu geben etwas zu machen, nicht weil es jemand anderes will, sondern weil er oder sie es selbst will.

Reinhard K. Sprenger sagte mir in Bezug auf unseren Weg: „Sie müssen die Menschen erziehen, dass Sie sie nicht mehr erziehen müssen.“ Das zitierte ich schon so oft, weil er damit sehr recht hat. Dann kann es auch funktionieren, eine Transformation voran zu bringen.

Was sind konkret Deine Ziele?

Mein Bestreben ist es zum einen zu zeigen, dass wirtschaften auch anders geht und zum anderen wollen wir verstärkt unseren Beitrag zu einer gesellschaftlichen Meinungsentwicklung leisten. Aber das ist mein ganz persönliches Ziel für beckers bester. Ansonsten verfolgen wir natürlich das Ziel, die Themen der Nachhaltigkeit konsequent weiterzugehen und damit nach innen und außen zu wirken.

Wie kommt man vom Fruchtsaft zu den Themen Diversität, LGBTQ+, etc.?

Über einen Marketingprofessor der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst fokussierten wir uns nochmal stärker darauf, das zu kommunizieren, was wir an Werten schon herausgearbeitet hatten: Nachhaltiges Handeln, wertschätzender Umgang und aufgeschlossenes Denken. Bei der Offenheit geht es darum, aufgeschlossen zu sein. Menschen und neuen Ideen gegenüber. Bei diesen Werten lag es auf der Hand, sich für Themen wie Diversität und Toleranz nicht nur zu interessieren, sondern auch einzusetzen. Wenn eine Marke glaubhaft auftreten will, dann darf sie nicht ständig von sich reden. Die Alternative ist, sich mit seinen eigenen Themen zu beschäftigen, was ist mir wichtig, was sind meine Werte. Die äußere ich nicht nur, wenn es um Saft geht, sondern immer dann, wenn meine Werte betroffen sind. Das heißt aber auch zu wissen, wann man sich zurückhält. Mit diesem Weg zu kommunizieren gingen wir natürlich auch das Risiko ein, unsere zum Großteil doch sehr traditionellen, konservativen Kunden zu verlieren. Dass wir auf den Verpackungen die Menschen auf einmal duzen, war der größte Aufreger. Das Gendern noch dazu. Aber das passiert eben, wenn man anfängt seine Werte konsequent zu leben.
Als Randnotiz bei allem was ich erzähle: Ich weiß nicht, ob wir das nächste Jahr überleben. Aber auch da zeigt sich, wer wirklich Werte hat.

beckers bester setzte sich in den letzten Jahren intensiv mit nachhaltiger Unternehmensführung auseinander. Was rätst Du den Unternehmen in Bezug auf eine gute Nachhaltigkeitsstrategie?

Dadurch, dass wir unsere Werte bereits hatten, brauchten wir zu Anfang erstmal keine Strategie. Die ersten Ansätze lagen auf der Hand. Also die Big Points, wo im Prinzip klar war, da wollen und müssen wir ran. Eines der ersten Themen war das C02. Dann hatten wir über Nacht die Gelegenheit, uns von dem PET-Geschäft zu verabschieden. Die Gelegenheit hätten wir nicht erkannt, wenn wir nicht die ganze Zeit eh im Hinterkopf gehabt hätten, dass wir Plastikflaschen eigentlich nicht wollen. Das war also alles sehr wertegetrieben. Du kommst aber irgendwann an den Punkt wo du merkst, das wird jetzt mehr ein Rumwurschteln. Seitdem sind zwei Dinge passiert: Das Eine ist die B Corp Bewegung, eine globale Bewegung von Unternehmen, die aktiv eine nachhaltige, soziale und faire Zukunft vorantreiben. Wir nutzen deren Fragenkatalog als Organisationsentwicklungstool. Kluge Menschen haben sich hier bereits Gedanken gemacht, welche Felder es gibt, um nachhaltig zu agieren. Zum Beispiel Mitarbeiter:innen, Gesellschaft, Umwelt und Kund:innen. Wenn wir uns jetzt mit jedem dieser Felder beschäftigen und uns fragen, wo wir stehen, kommen wir ja schon mal sehr strukturierter ein ganzes Stück vorwärts. Zum anderen beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Gemeinwohl-Ökonomie und sind seit diesem Jahr gemeinwohlbilanziert. Jetzt am 3. November startet endlich ein weiteres Projekt: Gemeinsamen mit der GLS Bank führen wir eine Wesentlichkeitsanalyse durch und entwickeln sauber und strukturiert eine Strategie. Es geht auch darum zu klären, wie wir unsere personellen und finanziellen Ressourcen am besten einsetzen. Wir können längst nicht alles machen. Für diese Entscheidungen braucht es ein deutlich strategischeres Vorgehen. Dabei soll seit diesem Jahr auch ein Nachhaltigkeitsmanagement unterstützen. 

Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was ich Firmen raten soll. Das ist viel zu kontextabhängig. Wer im Bereich Nachhaltigkeit anfangen will, sollte sich meiner Meinung nach zunächst mit seinen Werten auseinandersetzen und aus der Sicht der Organisationsentwicklung anfangen. So ein Prozess verläuft schrittweise. Ich fange an mich mit mir selbst zu beschäftigen, verändere kleine Dinge, bekomme positives Feedback und arbeite mich weiter voran. Diesen Prozess dann aber auch durchzuhalten, ist wiederum eine Frage der inneren Haltung und von daher ist es sicherlich gut, erst einmal da anzufangen.

Steckbrief:

Name: Sebastian Koeppel
Ausbildung: Dipl. Kaufmann
Position: Geschäftsführer beckers bester GmbH
Leidenschaften: Persönliche, organisationelle und gesellschaftliche Entwicklung; Lesen und Lernen; Gemeinwohlökonomie; Natur und Jagd

 

 

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