
"Wir brauchen mehr Wertschätzung"
Veganer, Vegetarier, Flexitarier – immer mehr Menschen in Deutschland verzichten auf den Konsum tierischer Nahrungsmittel. Inwiefern sich diese veränderten Ernährungsgewohnheiten auf die deutsche Agrarwirtschaft auswirken, hat das Thünen Institut in der Studie From fork to farm: Impacts of more sustainable diets in the EU-27 on the agricultural sector (2023) untersucht. Karina Neitzel hat mit dem Wissenschaftler und Autor der Studie Dr. Florian Freund gesprochen.
Aktuell forschen Sie zu der Wirkung sich ändernder Ernährungsgewohnheiten auf die deutsche Landwirtschaft. Was verbirgt sich hinter "From fork to farm"?
Wir nehmen wahr, dass sich immer mehr Menschen für einen veganen oder vegetarischen Lebensstil entscheiden und der Fokus grundsätzlich auf einer stärker pflanzenbetonten Ernährung liegt. Auch das Thema pflanzliche Alternativprodukte spielt in der Öffentlichkeit eine größere Rolle. Es ist ein Thema, was Politik und Landwirte gleichermaßen beschäftigt. Am Institut für Marktanalyse haben wir uns in den letzten Jahren insbesondere die Milch- und Fleischbranche näher angeschaut. Ein spannendes Thema, wo auch wir nicht so genau wussten, wo die Reise hingeht. So wahnsinnig groß, wie man sich das anhand der Regalmeter im Supermarkt vielleicht vorstellt, ist der Anteil Alternativer Produkte nämlich noch nicht. Wir sehen aber schon, dass die Nachfrage über die Jahre stetig steigt. Das war ein Anlass für uns zu untersuchen, welche Auswirkungen die Ernährungsänderung entlang der Planetary Health Diet auf die landwirtschaftlichen Betriebe haben könnte – sozusagen von „Fork to Farm“.
Eine Ausrichtung der Ernährung hin zu einer Planetary Health Diet impliziert: Weniger Tierhaltung und mehr Obst- und Gemüseanbau. Was bedeutet das für die niedersächsische Landwirtschaft?
In einer Studie haben wir folgendes Szenario analysiert: Was wäre, wenn sich nach einer Planetary Health Diet ernährt werden würde. Im Vergleich zu heute, wäre es eine dramatische Ernährungsumstellung. Ein Beispiel: Wir verzehren heute 55 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr. Die Planetary Health Diet schlägt 5 Kilo rotes Fleisch pro Kopf und Jahr vor. Wenn man das mal auf die Tage runterbricht, dann wären das 14 Gramm rotes Fleisch pro Tag pro Person. Hochgerechnet also zwei Schnitzel á 200 Gramm im Monat. Wenn man das mit der heutigen Situation vergleicht, wäre das schon eine dramatische Umstellung. Sehr viel weniger tierische Produkte, sehr viel mehr pflanzliche Produkte. Wir haben in der Studie vorausgesetzt, dass sich die Bevölkerung entsprechend der Planetary Health Diet ernährt und dann geschaut, was das für die Landwirtschaft bedeuten würde. Zunächst also sinkt die Nachfrage nach tierischen Produkten. In Folge dessen sinken die Erzeugerpreise und als Resultat gehen die Erlöse und die Gewinne in den Sektoren deutlich zurück. Ansätze sehen wir bereits schon heute. Das ist eine ernste Situation für die Landwirte, die vor Jahren investiert haben, deren Ställe noch nicht abgeschrieben sind. Was man aber dazusagen muss ist, dass eine Ernährungsumstellung in der Regel nicht von heute auf morgen passiert. Den Landwirtinnen und Landwirten bleibt also Zeit, sich an das ändernde Ernährungsverhalten anzupassen. Das aber werden sie mit Sicherheit tun müssen. Heute noch riesige Schweineställe und Rinderställe zu bauen, ist da sicherlich der falsche Weg. Die Landwirtschaft muss flexibel sein und die Märkte gut beobachten. Man muss im Blick haben, wie sich die Nachfrage, wie sich der Markt entwickelt - dann glaube ich, haben wir ganz gute Chancen.
Ein Kernergebnis der Studie lautet: Einkommenseinbußen bis 2030 von bis zu 12 %, leichte Einkommenssteigerungen erst ab 2050. Wird es bis dahin noch landwirtschaftliche (Familien-) Betriebe geben?
Auf jeden Fall wird es in Deutschland und Europa noch Landwirtschaft geben. In den Szenarien unserer Studie gehen wir nicht davon aus, dass wir in Deutschland oder Europa gar kein Fleisch mehr essen. Wir haben auch unterstellt, was ja auch einigermaßen realistisch ist, dass sich nicht die ganze Welt an der Planetary Health Diet orientiert, sondern eben die EU. Das heißt, es gibt weiterhin Potenzial für Exporte. Was den Obst- und Gemüseanbau betrifft, wird auch der deutsche Sektor deutlich gestärkt. Sicherlich würden insbesondere auch die südeuropäischen Länder profitieren, da hier komparative Vorteile aufgrund der günstigen Wetterlage zum Tragen kommen.
Wie entwickeln sich die Verbraucherpreise? Bremst das eine Umsetzung der Planetary Health Diet aus? Die Branche kämpft jetzt schon um angemessene Preise. Wird sich dieses Szenario noch verschärfen?
Unsere Modellrechnungen zeigen, dass Obst und Gemüse deutlich teurer werden. Die hohe Arbeitsintensität begründet diesen Kostenanstieg in Teilen. In der Studie haben wir unterstellt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Obst und Gemüse nachfragen und damit einhergehend, dass Endkunden bereit sind, mehr für Lebensmittel auszugeben. Die Frage ist dann wiederum, wie man das sozialverträglich umsetzt. Da gibt es verschiedene Stellschrauben: Zum Beispiel kann man an den Mehrwertsteuersätzen drehen. Aber im Grunde brauchen wir mehr Wertschätzung für gesunde und nachhaltige Nahrungsmittel.
Steckbrief:
Name: Dr. Florian Freund
Ausbildung: Volkswirt
Position: Wissenschaftler am Thünen-Institut für Marktanalyse
Leidenschaften: Rennräder, Filme, Kaffee
Siehe auch
Dazu passend
- Rieger J, Freund F, Offermann F, Geibel I, Gocht A (2023) From fork to farm: Impacts of more sustainable diets in the EU-27 on the agricultural sector. J Agric Econ