Quelle: Hamburg Messe und Congress / Michael Zapf

"So richtig erreicht man die Verbraucher, wenn es emotional wird."

Karin Tischer gründete vor 27 Jahren in Kaarst das Unternehmen food & more. Heute gilt das Institut als eine der gefragtesten Trendforschungseinrichtungen im Bereich Lebensmittel in Europa. Karin Tischer entwickelt mit ihrem Forschungs- und Entwicklungsinstitut nicht nur Konzepte und Rezepturen, sondern berät auch die Lebensmittel- und Getränkebranche. Wir fragten die Unternehmerin und Trendforscherin, welche Trends auf die Lebensmittelhersteller zukommen.

Die Konsumenten in Deutschland gelten als extrem preissensibel. Genuss und Nachhaltigkeit spielen oft eine eher nachgeordnete Rolle beim Einkauf oder im Restaurant. Würden Sie diese Einschätzung teilen?
Ich stimme dem teilweise zu. Im europäischen Vergleich haben wir in Deutschland mit die höchsten Gehälter, geben aber teilweise am wenigsten für Lebensmittel aus. Die Deutschen waren schon immer sehr preisorientiert. In den Anfängen der Covid-19-Pandemie konnten wir einen entgegengesetzten Trend beobachten: Lebensmittel wurden mehr wertgeschätzt und man war bereit, für gute, teils regionale Produkte mehr zu zahlen. Es ist bedauerlich, dass wir durch die Krisen der jüngsten Vergangenheit wieder Rückschritte in der Zahlungsbereitschaft verzeichnen. Auch Menschen, die es sich eigentlich leisten können, achten wieder vermehrt auf den Preis. Dennoch ist niemand bereit, auf Qualität zu verzichten.

Mit food & more haben Sie in Kaarst bei Düsseldorf ein Forschungs- und Entwicklungsinstitut für die Lebensmittel- und Gastro-Branche gegründet. Mit welchen Themen werden sich Lebensmittelhersteller in Niedersachsen zukünftig stärker auseinandersetzen müssen?
Für die Firmen ist es zum einen besonders wichtig, Qualitäten zu halten bzw. zu verbessern und sich zum anderen auf geänderte Bedürfnisse, z. B. im Hinblick auf alternative Proteine, neu  aufzustellen. Besonders in diesem Bereich ist noch viel Luft nach oben. Innovationskraft bei Gesundheitsorientierung, Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Nachhaltigkeit sind weitere wichtige Zukunftsthemen. Wirklich erreichen kann man die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn es emotional wird. Zum Beispiel mit Themen wie Genuss oder Regionalität. Das besondere Storytelling mit „Uniqueness“ zu den Produkten, das macht es letztendlich aus.

Sind deutsche Lebensmittelhersteller bei Innovationen und Trendumsetzungen vorne dabei oder eher zögerlich?
Die Deutschen sind gerne selbstkritisch. Ich würde die deutschen Unternehmen in ihrer Innovationskraft im europäischen Vergleich im Mittelfeld einstufen. London, Schweiz und die skandinavischen Länder, insbesondere die Niederlande, sind sehr trendorientiert und innovativ. Nichtsdestotrotz werden auch in Deutschland viele Trends aufgegriffen. Beispielsweise verzeichnen wir die größte Brotvielfalt der Welt und sind dennoch sehr offen und neugierig gegenüber internationalen Backwaren oder auch gegenüber Start-Ups und deren neuen, innovativen Produkten. Deutsche Lebensmittelhersteller sind im Lebensmittel- und Getränkebereich besser und innovativer als es oft dargestellt wird.

Als Trendscout entdecken Sie weltweit neue Food-Trends. Auf welche Food-Trends dürfen wir uns 2024 freuen?
Oh, da gibt es eine ganze Menge! Zu den großen bereits benannten Themen möchte ich hier gerne ein paar Entwicklungen aufgreifen:
Zum einen die Fermentation: Gesundheitsorientierte Nährstoffanreicherung, sinnvolle Haltbarmachung, aber vor allem neue Geschmacksexplosionen, um Produkte geschmacklich attraktiver zu gestalten. In vielfältiger Weise ein sehr spannendes Thema.
Dann das Thema Frühstück in einer neuen Dimension. Dazu hat insbesondere die Pandemie beigetragen. Die Menschen frühstücken und snacken sich gerne durch den Tag. Da kommt das vermehrt legere Essen noch dazu, also ein bequemes Snacken nebenbei. In dem Zusammenhang bevorzugen immer mehr Menschen Frühstücken und Snacken  auch Außer-Haus. Die Gäste werden immer bequemer, somit gibt es immer mehr Smoothies, Shots etc. Aber auch Eierspeisen, international interpretiert, sind beliebter denn je. Ein weiterer Bereich, besonders international, ist ein 24/7 Frühstücksangebot. Mit neuen Kaffeespezialitäten wie z.B. Bumble Coffee oder Coffeetails, also Cocktails mit Espresso, attraktiven gegrillten Broten/Sandwiches oder Streetfood, das sensorisch und optisch viel darstellt, Wraps mit innovativen Füllungen oder ausgefallene Burger. Je kreativer desto besser.
Food muss, das ist der dritte Trend, instagramable sein. Essen hat einen hohen Stellenwert und ist ein sehr emotionales Thema. Man möchte sich damit in Szene setzen. Für die Industrie und Gastronomie eine attraktive kostenlose Werbung, wenn Produkte und Gerichte online gepostet werden. Einige Gastronomen achten sehr drauf, ihre Produkte zu inszenieren. Im Außer-Haus Markt ist das ein großes Thema und es ist wichtig, sich dem Trend zu stellen. Und zwar in zwei Dimensionen: Nicht nur vor Ort, sondern auch im Delivery Bereich. Wir machen mit unseren Kunden vorab z. B. die sogenannten Rütteltests. Dabei prüfen wir, ob die Speise noch attraktiv ist, wenn sie beim Kunden ankommt.
Ich möchte allen in unserer Branche Mut machen, sich mit einer gelungenen Kombination aus viel Leidenschaft und Engagement sowie kühlem Kopf und positivem Denken nach vorne zu bewegen und sich nicht beirren zu lassen. Es wird immer wieder herausfordernde Zeiten geben und auch die werden wir meistern. Wer in der Krise investiert, gewinnt.

 

 

Ihr Ansprechpartner

Dr. Marie Wendt
Marketingreferentin Regionalvermarktung, Förderung

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